Wohl jeder kennt das berühmte Piepen an der Supermarktkasse, wenn Scanner und Strichcode aufeinandertreffen. Der Strichcode steht für eine einfache Zahlenfolge, mit deren Hilfe ein Produkt nach weltweiten Standards identifiziert wird. Das erste Produkt, das mit einem Strichcode versehen wurde, war eine Packung Wrigley Juicy Fruit Kaugummi im Jahr 1974. Heute, im Jahr 2023, ist der Barcode weltweit auf nahezu allen Produkten zu finden. Pro Tag werden mehr als sechs Milliarden Strichcodes von Scannern erfasst. Doch der lineare Strichcode bekommt einen Nachfolger. Ab Ende 2027 soll die Verwendung der sogenannten 2D-Codes im Einzelhandel möglich sein, und zwar weltweit. Warum es überhaupt einen neuen Code braucht und was er kann, hören Interessierte in der folgenden Podcastfolge.
Einfach ausgedrückt passiert gerade folgendes: Der Informationsbedarf von Kund:innen und Geschäftspartner:innen entlang der Lieferkette wächst. Der Strichcode, wie wir ihn kennen, kann aber nur eine limitierte Menge an Informationen abbilden. Das heißt, er wird perspektivisch nicht mehr in der Lage sein, alle Anforderungen der Anwender:innen zu erfüllen. Die globale Standardisierungsorganisation GS1 hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, den eindimensionalen nach und nach in einen zweidimensionalen Code zu überführen. Der neue Code, verfügbar als QR-Code oder bei Arzneimitteln aus der Apotheke als Data Matrix, kann deutlich mehr Informationen transportieren als sein Vorgänger. Hinzu kommt, dass GS1 den neuen Code mit dem sogenannten GS1 Digital Link kombiniert.
Und hier kommen wir zur entscheidenden Neuerung: Der digitale Link schlägt die Brücke vom physischen Produkt hin zu digitalem Content, der individualisierbar ist. Das heißt, je nachdem, wer in welchem Kontext, mit welchem Bedarf und über welches Gerät den Code scannt, bekommt unterschiedliche Informationen ausgespielt. Dadurch eröffnen sich beispielsweise im Marketing bislang noch nicht dagewesene Möglichkeiten. Welche das sind und was der 2D-Code sonst noch kann, besprechen Thomas Fell, CEO von GS1 Germany, und Claudia Willvonseder, Mitglied der internationalen Geschäftsführung und verantwortlich für die Bereiche Marketing, Forschung, Entwicklung und Innovation, Nachhaltigkeit sowie Global Data Management bei Dr. Oetker. Herzlich willkommen!
Claudia Willvonseder weist mehr als 15 Jahre Erfahrung auf Vorstandsebene führender Unternehmen und Marken auf und ist seit 2019 für Dr. Oetker tätig. Als Executive Board Member verantwortet sie die Ressorts Marketing, Forschung und Entwicklung, Compliance, Nachhaltigkeit und Global Data Management.
Thomas Fell ist anerkannter Retail-Experte und seit 2017 Lead von GS1 Germany. Zuvor war er unter anderem Bereichsvorstand bei Diebold respektive Wincor Nixdorf sowie Geschäftsführer bei IBM. Unter seiner Führung entwickelte sich GS1 Germany zum Wegbereiter marktorientierter und standardisierter Lösungen rund um den Barcode.
Fell: Als Konsument:innen kennen wir den auf jeder Verpackung anzutreffenden eindimensionalen Barcode seit 50 Jahren. Zweidimensionale Codes sind uns eigentlich auch schon bekannt, beispielsweise als QR-Code, den wir alle während der Coronapandemie häufig gescannt haben. Der wesentliche Vorteil zweidimensionaler Codes ist, dass sie aufgrund ihrer Beschaffenheit weitaus mehr Informationen abbilden können. Der klassische Barcode besteht aus einer 13-stelligen Zahlenkombination. Die steht meistens unter den Barcodestrichen und ist für jeden lesbar. Mehr als die grundlegenden Produktdaten sind darin nicht enthalten. Weil ein QR-Code weitaus mehr Informationen beinhalten kann, werden nun völlig neue Dinge möglich, zum Beispiel, dass der Code anfängt, mit uns zu reden.
Fell: Wir sprechen von Sunrise 2D-Code 2027 und nicht von Sundown Barcode 2027. Das heißt, ab 2027 bin ich als Hersteller in der Lage, einzig mit einem zweidimensionalen Code auf der Verpackung zu arbeiten. Es steht mir aber völlig frei, daneben auch den eindimensionalen Barcode weiterzuverwenden.
Willvonseder: Für uns als Hersteller sind zwei Aspekte entscheidend: Zum einen können wir Konsument:innen breitgefächerte Informationen liefern, die für sie relevant sind, zum Beispiel Hinweise zu Rezepturen, Inhaltsstoffen, Nachhaltigkeitsfragen oder zur Provenienz. Zudem ermöglichen wir den Konsument:innen die Rückverfolgung des Produkts über die gesamte Lieferkette. Das sorgt für Transparenz. Wenn ich also eine Backmischung von Dr. Oetker habe, können interessierte Konsument:innen anhand des 2D-Codes herausfinden, woher die Vanilleschote in dieser Mischung stammt. Zum anderen habe ich als Markenhersteller die Möglichkeit, mein Produkt als Kommunikationskanal zu nutzen. Das eröffnet mir viele neue Möglichkeiten, interaktiv und personalisiert mit den Konsument:innen in Kontakt zu treten. Natürlich immer nur dann, wenn sie es erlauben und ihr Einverständnis geben. So bereichere ich das Einkaufserlebnis und stärke zugleich die Kundenbindung.
Fell: Ebenso frappierend neu ist, dass ich diesen Code einmal auf die Verpackung aufbringe und er in Abhängigkeit davon, wer, wann, wo und in welchem Kontext diesen Code scannt, andere Inhalte live ausspielen kann. Das heißt, dass der Code auf dem Produkt, je nach Anlass und Rezipient unterschiedliche Informationen zur Verfügung stellt. Wenn ich zum Beispiel in einem Laden stehe und schaue nach Kopfhörern, dann interessiert mich in dem Moment was der Kopfhörer kann und zu leisten vermag. Wenn ich ihn zu Hause auspacke, habe ich ganz andere Anforderungen, beispielsweise wie ich den Kopfhörer in Betrieb nehmen kann und wie seine Features funktionieren. Zwei Jahre später möchte ich vielleicht wissen, wie ich ihn zur Reparatur geben kann. Und vier Jahre später interessiert mich eventuell ein Angebot für neue Kopfhörer. All diese verschiedenen Konstellationen können im Nachhinein ausgespielt und nach Belieben verändert werden. Diese kontextuelle Variabilität ist das eigentlich Neue und macht die Leistungsfähigkeit dieses zweidimensionalen Codes aus.
Fell: Bei uns in Deutschland braucht es mit hoher Wahrscheinlichkeit keine neue Hardware, weil die Scanner, die heute verbreitet sind, schon heute QR-Codes für Gewinnspiele, Coupons, Bonuspunkte und dergleichen mehr scannen können. Lediglich die Software muss ein wenig angepasst werden, damit die Scanner interpretieren können, was sie lesen. Doch das ist kein sehr großer Aufwand. Die Vorteile für den Handel hingegen sind ähnlich groß wie für die Herstellerunternehmen. Weil der 2D-Code weitaus mehr Inhalte bereithält als der heutige lineare Barcode, kann er beispielsweise ein Mindesthaltbarkeitsdatum enthalten. So können Händler beim Kassiervorgang noch einmal checken, ob das Produkt womöglich abgelaufen ist oder sie sind in der Lage, kurz vor der Ablauffrist stehende Produkte automatisch zu rabattieren. Das kann der klassische Barcode nicht leisten.
Willvonseder: Das kommt ganz darauf an, was für Sie als Kund:in relevant ist und was Sie am Point of Sale über das Produkt erfahren wollen. Angenommen Dr. Oetker lanciert eine neue Backmischung. Dann platzieren wir auf der Packung den 2D-Code gut sichtbar. Sie scannen mit Ihrem Handy den Code ein und erhalten Informationen über die Ingredienzien und ihre Herkunft, die jeweiligen Produzenten und wie nachhaltig diese arbeiten. Vielleicht suchen Sie aber eher Inspiration, wie zum Beispiel Rezeptideen. Dann werden Sie auf unsere App weitergeleitet und finden dort Rezepte für Gerichte, die Sie mit dieser Mischung zubereiten können. Vielleicht fragen wir Sie auch nach Feedback, ob Sie Verbesserungsvorschläge haben oder eigene Rezepte teilen möchten. Wir können Sie auch einladen, Mitglied in unserem Club zu werden und Ihnen besondere Angebote ausspielen.
Willvonseder: Die großen Vorteile, die wir sehen, sind einerseits im Bereich Marketing, wo wir über personalisierte Targeted Messages die Konsument:innen schon am Point of Sale zu adressieren vermögen. Als Markenhersteller haben wir normalerweise keinen direkten Zugang zum Point of Sale. Mit dem 2D-Code können wir in direkten Kontakt treten und interessierte Kosument:innen die Möglichkeit eröffnen, sich zu engagieren. Der zweite Aspekt ist, dass wir das zunehmende Informationsbedürfnis der Konsument:innen bedienen. Galten früher die Marke und der Preis als ausreichende Verkaufsargumente, wollen Konsument:innen heute deutlich mehr wissen: Woher stammen die Inhaltsstoffe? Was passiert entlang der Lieferkette? Wie nachhaltig arbeitet das Herstellerunternehmen? Über das simple Tool 2D-Code kann ich meinen gesamten Wertkodex kommunizieren und breit gefächerte Informationen ausspielen, wie ich das bislang nur über eine Webseite konnte. Der größte Benefit des Codes für uns ist also, dass das physische Produkt zum Kommunikationskanal zwischen Konsument:innen und Herstellerunternehmen wird. Und das über eine längere Zeitspanne hinweg, sowohl beim Shoppingerlebnis selbst als auch später zu Hause, wenn die Konsument:innen das Rezept backen. Im Idealfall werden sie sogar Mitglied in unserem Back-Club, dessen Community im steten Austausch steht und uns wertvolles Feedback gibt.
Der 2D-Code erlaubt es uns, die Rückverfolgbarkeit extrem zu verbessern und diese Informationen mit den Konsument:innen zu teilen. Was unternimmt das Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit? Was sind die Partnerschaften? Ich kann die Konsument:innen auch einladen, an Initiativen mitzuwirken, oder sie können selbst Ideen zur Produktverbesserung oder Reduzierung der Klimaschädlichkeit vorschlagen. Das heißt, ich erreiche eine 360-Grad-Skalierung, indem ich persönlich mit den Konsument:innen in den Kontakt trete und inhaltlich sehr viel Wissen über mein Unternehmen und seine Supply Chains teile. Insofern ist der 2D-Code sehr effizient. Während ich heute noch auf sehr vielen Labels einzelne Informationen drucken muss, kann ich, sobald der 2D-Code akzeptiert ist und die Konsumenten daran gewöhnt sind, sämtliche Information, für die ich heute viel Platz auf der Verpackung brauche, an einer Stelle bündeln.
Fell: Das gelingt durch eine Kombination des 2D-Codes mit dem sogenannten GS1 Digital Link. Dessen Funktionsweise muss man sich vorstellen wie die Weiche einer Eisenbahn, die, je nachdem wer sie passiert, zu einem jeweils anderen Content weiterleitet. So kann ich im Nachhinein, wenn das Produkt schon lange im Umlauf ist oder sich im fortgeschrittenen Lebenszyklus befindet, den Content, der angezeigt werden soll, jeweils ändern. Ich kann auch saisonale und tageszeitliche Anpassungen vornehmen und Ostern andere Inhalte ausspielen als an Weihnachten oder vormittags etwas anderes als nachmittags. Dabei passt sich die verwendete Sprache der jeweiligen Smartphone-Einstellung an. Der Hersteller ist also in der Lage remote die Weiche zu stellen, zu welchen Inhalten der Code auf dem Produkt leitet. Wer jeweils den Code scannt, hat ebenfalls Einfluss auf die die angezeigten Inhalte. Konsument:innen bekommen immer die für sie relevanten Informationen. Ein Techniker, der mit einer Techniker-App auf den Code zugreift, erhält dann zum Beispiel solche Informationen: Sind Ersatzteile verfügbar? Wann sind die verfügbar? Und derlei Dinge mehr. Der Händler sieht wiederum andere Informationen: Wie schnell kann ich das Produkt nachgeliefert bekommen? Oder: Wie viele Einheiten sind auf Lager? All dies ermöglicht der GS1 Digital Link als intelligente Weiche, die keinen QR-Code auf einer Verpackung veralten lässt. Jeder Scan endet dort, wo er enden soll.
Fell: Den Scan kann ich mit jeder Smartphone-Kamera durchführen, das ist sozusagen die Voreinstellung. Damit passieren schon Dinge in Abhängigkeit davon, wann, zu welcher Tages- oder Jahreszeit ich den Code scanne. Möchte ich spezielle Informationen einer Technikerin oder einem Techniker zukommen lassen, die auch eine gewisse Vertraulichkeit haben oder besondere Kenntnisse voraussetzen, dann kann ich das über solche technischen Apps machen, wie sie heute bereits im Einsatz sind. Beispielsweise wenn ich am Point of Sale das Haltbarkeitsdatum noch einmal überprüfen möchte, dann macht das der Scanner an der Kasse für mich. Unterschiedliche Devices werden also dafür verwendet, verschiedene Informationen zu transportieren.
Fell: Die ersten innovativen Unternehmen starten damit und haben ihn zum Teil auch schon auch im Einsatz. Besonders intensiv nutzt ihn zum Beispiel die Pharmaindustrie bei verschreibungspflichtigen Medikamenten. In der Apotheke werden verschreibungspflichtige Medikamente bereits auf einer eindeutigen Serial-Ebene gescannt. Dadurch wäre erkennbar, wenn das Präparat irgendwo anders schon einmal ausgegeben worden ist. So lässt sich Plagiaten und illegalen Reimporten auf die Spur kommen. Die Pharmaindustrie nutzt diese Technologie schon intensiv und die Konsumgüterindustrie folgt gerade.
Willvonseder: Wir freuen uns darauf, bald in die Pilotphase zu gehen, um dann zu erfahren, welche Informationen für Konsument:innen tatsächlich relevant sind und sie inspirieren: Sind es Bewegtbilder, knappe Informationen oder ausführlichere? Wie tief kann ich gehen und was sind die einzelnen Elemente, die wirklich das Kundenerlebnis steigern, aber auch die Kundenbindung für die Marke erhöhen? Ich bin sehr neugierig, dass alles herauszufinden!
Willvonseder: Ich würde gerne eine Frage mit auf den Weg geben: Ich wüsste gern von den Zuhörer:innen, was Sie an Marken und Produkten interessiert und auf welchen Wegen sie mehr über sie erfahren wollen. Und ich bin neugierig herauszufinden, welche Art von Interaktivität sich Konsument:innen am Point of Sale wünschen. Ob sie zum Beispiel ihre Erfahrungen mit einem Produkt gerne an uns zurückspielen würden. Daraus könnten wir lernen für den Piloten, den wir jetzt starten wollen.
Fell: Ich möchte alle Zuhörer:innen ermuntern, den 2D-Code einfach mal auszuprobieren, um seine vielfältigen Funktionen zu erleben und sich ein eigenes Bild zu machen, was er leisten kann. Ich wünsche viel Spaß beim Ausprobieren!